Die Yoga-Sūtras des Patañjali

Frank Nārada Ziesing

Inhalt

1. Samādhi

Thema der Yoga-Sūtras

1.1
Jetzt [beginnt] die Yoga-Unterweisung.

1.2
Yoga [ist] das Niederhalten der Aktivitäten des Geistes.

1.3
Dann verweilt der Erfahrende im eigenen Wesen.

1.4
Sonst identifiziert [er sich] mit den Aktivitäten.

Aktivitäten des Geistes

1.5
Die Aktivitäten [sind] fünferlei, unangenehm und nicht unangenehm.

1.6
[Es sind:]

  • Einordnen von Sachverhalten
  • Fehleinschätzungen
  • Überlegen
  • Schlaf
  • Erinnern.

1.7
Einordnen von Sachverhalten [beruht auf]

  • unmittelbarer Wahrnehmung
  • Schlussfolgerung
  • gelerntem Wissen.

1.8
Fehleinschätzung [ist] eine verkehrte Annahme, deren Wesen ohne Grundlage [ist].

1.9
Überlegen [ist] das Verfolgen von Annahmen, die man in Worten ausdrücken kann, bei Abwesenheit der Sache.

1.10
Schlaf [ist] eine Aktivität, die auf dem Fehlen fester Vorstellungen beruht.

1.11
Erinnern [ist] das Nichtloslassen erlebter Erfahrungen.

Beherrschung der Aktivitäten des Geistes

1.12
Durch Übung und Gelassenheit [gelingt] das Niederhalten dieser [Aktivitäten].

1.13
Übung [ist] Bemühung, die beharrlich dabei bleibt.

1.14
Aber eine feste Grundlage [ist] erst das, was lange Zeit ununterbrochen mit ganzer Hingabe praktiziert [wurde].

1.15
Gelassenheit [ist] die Selbstverständlichkeit der Meisterschaft für den, der frei von Durst nach Sinnlichem ist, – weder gesehenem, noch von dem er gehört hat.

1.16
Am größten ist sie für den, der den Purusha kennt [und dadurch] ohne Durst nach den Manifestationen der Natur ist.

Der Weg

1.17
Tiefes Verständnis [entsteht] durch das Nachfolgen des Wesens von

  • Vitarka (Erwägung)
  • Vicāra (innere Prüfung)
  • Ānanda (innere Freude)
  • Ich-bin-Empfindung.

1.18
Ein anderer [Zustand ist] das Verstummen fester Vorstellungen durch vorhergehende Übung, wo nur Saṃskāras übrig bleiben.

1.19
Überzeugung von Geburt an [gibt es] für die an der unverkörperten schöpferischen Urkraft haftenden.

1.20
Bei anderen gehen Zuversicht, heldenhaftes Vorgehen, stetiges Erinnern und Samādhi-Einsichten voraus.

1.21
Für diejenigen mit heftig brennendem Verlangen steht [Samādhi] nah bevor.

1.22
Schwaches, mittelmäßiges oder übermäßiges [Verlangen macht] in diesem Fall natürlich einen Unterschied.

Īśvara

1.23
Auch durch Ergebung an Īśvara [gelingt es].

1.24
Von Qualen, von Karma, von langsam heranreifenden Handlungsresultaten, von Charakteranlagen aus früheren Leben unberührt, diese besondere Bewusstseinskraft ist Īśvara.

1.25
Dort [ist] der unübertroffene, allwissende Anfang.

1.26
Da er der Trennung durch Zeit nicht unterliegt, [ist] er auch der Lehrer der früheren Generationen.

1.27
Das ihn bezeichnende Wort [ist] OM.

1.28
Dessen Wiederholung bringt die dazu gehörende Bedeutung ans Licht.

1.29
Anschließend [kommt es] auch zum Erlangen des inneren Bewusstseins und zum Unterbleiben von dazwischen kommenden Hindernissen.

Hindernisse

1.30
Diese dazwischen kommenden Hindernisse, die den Geist ablenken, [sind:]

  • Krankheit
  • Starrheit
  • Zweifel
  • Unaufmerksamkeit
  • Mangel an freudiger Energie
  • Sich nicht von Sinnesgenüssen trennen
  • eine verworrene Weltanschauung
  • Nichterlangen einer [Konzentrations]basis
  • Unbeständigkeit.

1.31
Die Ablenkung geht einher mit Unbehagen, Niedergeschlagenheit, Zittern des Leibes und seufzendem Atmen.

1.32
Zu ihrer Abwehr dient die anhaltende Beschäftigung mit einem Aspekt der metaphysischen Wahrheit.

Gnädige Geistesstimmung

1.33
Eine gnädige Geistesstimmung [entsteht] durch stetige Ausrichtung des Denkens auf

  • Wohlwollen zu gut laufenden Umständen,
  • Mitgefühl gegenüber schlecht laufenden,
  • Freude über spirituell Günstiges,
  • Nichtbeachtung von Verfehlungen.

1.34
Oder durch Ausstoßen und Anhalten des Atems.

1.35
Oder ein mit den Sinnen wahrgenommenes Ereignis passiert, das für das Gemüt so fesselnd ist, dass es still steht.

1.36
Oder ein Kummer vertreibendes [Ereignis], das zur Lichtwelt gehört, [passiert].

1.37
Oder ein Geist, der von Leidenschaft nach Sinnendingen befreit ist.

1.38
Oder basierend auf Erkenntnis in Traum oder Schlaf.

1.39
Oder durch Meditation wohin einen das Verlangen zieht.

1.40
Vom Allerkleinsten bis zum Allergrößten erstreckt sich seine Meisterschaft.

Stufen der Einswerdung

1.41
Durch Abnahme der Gedanken fallen Wahrnehmer, Wahrnehmung und Wahrgenommenes – gefärbt durch das, auf das man sich ausgerichtet hat, wie bei einem edlen Juwel, – zu einer Einheit zusammen.

1.42
Ist diese mit Mitteilungen, Erkenntnissen und Subjekt-Objekt-Gefühl vermischt, [ist es] Savitarka,.

1.43
Bei ganz gereinigter Erinnerung, als wäre das eigene Wesen leer, nur das Ziel leuchtet, [ist es] Nirvitarka,.

1.44
Ebenso wird [die Einswerdung als] Savicāra und [als] Nirvicāra beschrieben in Bezug auf den Bereich, der sich der Wahrnehmung entzieht.

1.45
Und der Bereich, der sich der Wahrnehmung entzieht, erstreckt sich bis zum Merkmallosen.

1.46
Diese [Einswerdung ist] allerdings Samādhi mit Samen.

1.47
Ist man mit Nirvicāra vertraut, [entsteht] die gnadenvolle Stimmung der eigenen höheren Natur.

1.48
Die Einsicht trägt dort göttliche Ordnung in sich.

1.49
Verglichen mit Einsicht aus Gelehrsamkeit und Schlussfolgerung ist sie anders ausgerichtet durch ihr außergewöhnliches Ziel.

1.50
Die daraus entstandene Denkgewohnheit (Saṃskāra) hemmt andere Denkgewohnheiten.

1.51
Ist sogar diese zum Stillstand gebracht, [entsteht] durch die Stille von allem der samenlose Samādhi.

2. Zum Ziel führende Mittel

Der praktische Yoga

2.1
Glühende Askese, Rezitation heiliger Texte für sich selbst und Gottergebung, das ist Yoga in der Praxis.

2.2
Es geht darum Samādhi zu erreichen und Kleśas unbedeutend zu machen.

Die Kleśas und ihre Überwindung

2.3
Die Kleśas [sind:]

  • Unwissen
  • das Gefühl jemand zu sein
  • Verlangen
  • Widerwille
  • hartnäckiges Bestehen auf der eigenen Art und Weise.

2.4
Unwissen [ist] das Feld für die folgenden [Kleśas, ob] schlafend, schwach, mit Unterbrechungen oder ständig wirkend.

2.5
Unwissen ist Beständigkeit, Reinheit, Glück und sich selbst zu sehen, wo Vergängliches, Unreines, Leidvolles und das Nichtselbst sind.

2.6
Das Gefühl jemand zu sein [ist] als ob die Wirkkraft des Sehers und die Wirkkraft des Erleben des Gesehenen ein und dasselbe wären.

2.7
Verlangen [ist] das Kleben an der Vorstellung von Angenehmem.

2.8
Widerwille [ist] das Kleben an der Vorstellung von Unangenehmem.

2.9
Das Mit-sich-Führen der eigenen Neigung, auch im Wissenden entsprechend entwickelt, [führt zum] hartnäckigen Bestehen auf der eigenen Art und Weise.

2.10
Diese durch Gegenbefehl zu verwerfenden [Kleśas sind] subtil.

2.11
Durch sie hervorgerufenes Benehmen [ist] durch Meditation zu verwerfen.

Karma-Ansammlung und Wiedergeburten

2.12
Die Kleśa-Wurzel [ist] die Karma-Ansammlung, die zur Erfahrung der gegenwärtigen und noch unbekannten Geburten führt.

2.13
Besteht diese Wurzel, reift dieses [Karma] heran zu Geburt in [entsprechender] Familie, Lebensdauer und Erlebnissen.

2.14
Diese [Leben beinhalten] als Frucht Heiterkeit und Seelenschmerz aufgrund von Verdiensten und Verfehlungen.

Der Weg der Unterscheidung

2.15
Leidvoll ist allerdings alles für den Unterscheidenden

  • durch das Leid von Veränderungen, Schmerzen und geistigen Nachwirkungen,
  • und aufgrund des Streits der von den Guṇas bestimmten [eigenen] Verhaltensweisen.

2.16
Leid ist zu vermeiden bevor es eintrifft.

2.17
Die Verbindung des Sehers mit dem, was zu sehen ist, [ist] die zu vermeidende Ursache.

2.18
Das, was zu sehen ist, ist von:

  • leuchtendem (Sattva),
  • aktivem (Rajas)
  • stillstehendem (Tamas),

Charakter [und] materiell-sinnlicher Art.

[Es] dient der Erfahrung [von Freude und Schmerz sowie] der Loslösung [davon].

2.19
Die Guṇas kommen vor:

  • unmanifestiert,
  • nur als Idee vorhanden,
  • noch nicht ausdifferenziert und
  • materiell ausdifferenziert.

2.20
Der Sehende hingegen [ist] das unvermischt reine, bloße Schauvermögen, welches die Vorstellungen, [die der Geist produziert,] betrachtet.

2.21
Die Natur des zu Sehenden [ist] nur zu seinem Nutzen da

2.22
Obwohl nichtig für den, der sein Ziel erreicht hat, ist es nicht nichtig, da andere gemeinsam daran festhalten.

2.23
Die Verbindung seiner Wirkkraft mit der seines Herrn, [also des Sehers] ist der Grund der Erfahrung seiner Gestalt.

2.24
Dessen Ursache [ist] Unwissen.

2.25
Durch deren Abwesenheit unterbleibt die Verbindung. Das Aufgeben dieser [unwissenden] Betrachtungsweise [ist] Kaivalya, (Befreiung).

2.26
Die ununterbrochen unterscheidende Einstellung ist das Mittel zum Aufgeben.

2.27
Siebenfach [ist] die Einsicht der [ununterbrochen unterscheidenden Einstellung] auf der letzten Stufe.

Der achtgliedrige Yoga

2.28
Das Leuchten der Erkenntnis, [das entsteht,] wenn durch das Praktizieren der Glieder des Yogawegs die inneren Unreinheiten abgenommen [haben], erstreckt sich bis zur unterscheidenden Einstellung.

2.29
Die acht Glieder [sind]

  • Yamas (Grundhaltungen)
  • Niyamas (Selbstverpflichtungen)
  • Āsanam (Sitzhaltung)
  • Prāṇāyāma (Atemkontrolle)
  • Pratyāhāra (Zurückziehen der Sinne)
  • Dhāraṇā (Kontemplation)
  • Dhyānam (Meditation)
  • Samādhi.

2.30
Die Yamas (Grundhaltungen) [sind]

  • Nichtschädigen
  • Sprechen der Wahrheit
  • Nichtstehlen
  • Brahmacharya
  • Nichtergreifen.

2.31
Überall gültig, ohne Ausnahme durch Stellung, Ort, Gelegenheit oder Umstände, [sind sie] das große Gelübde.

2.32
Die Niyamas (Selbstverpflichtungen) [sind]

  • Läuterung
  • Zufriedenheit
  • glühende Askese
  • Rezitation heiliger Texte für sich selbst
  • Gottergebung.

2.33
Bei Bedrängung durch inneres Hin und Her [hilft] Vergegenwärtigung des Gegenteils.

2.34
Inneres Hin und Her angefangen z.B. mit:

  • [dem Impuls] zu Schädigen,
  • direkt, indirekt oder nur mit Schadenfreude,
  • Gier, Ärger oder Verwirrung vorangehend,
  • leicht, mittel oder stark,
  • mit Leid und Unwissen als endloser Konsequenz.

Hier [hilft] die Vergegenwärtigung des Gegenteils.

Wirkungen der Yamas

2.35
In Gegenwart dessen, der in Nichtschädigen gefestigt ist, verschwindet Feindschaft.

2.36
Bei Gefestigtsein im Sprechen der Wahrheit [folgt} Abhängigkeit der Handlungsfrüchte [von den Worten].

2.37
Bei Gefestigtsein in Nichtstehlen [folgt] die Aufwartung durch alle Güter.

2.38
Bei Gefestigtsein in Brahmacharya [folgt] Tatkraftgewinn.

2.39
Bei Standhaftigkeit in Nichtergreifen [folgt] Einsicht in das Wie und Woher der [eigenen] Geburt.

Wirkungen der Niyamas

2.40
Durch Läuterung [kommt es zu]

  • Unlust am eigenem Körper
  • Nichtumgang mit anderen, …

2.41
… und

  • Wesensreinheit
  • angenehmem Gemüt
  • Konzentation
  • Sieg über die Sinne und
  • Fähigkeit, das eigene Selbst wahrzunehmen.

2.42
Durch Zufriedenheit [entsteht] unübertrefflicher Gewinn von Wohlbefinden.

2.43
Heilende Ordnung von Körper und Sinnen [entsteht] durch Beseitigung von Unreinheit aufgrund glühender Askese.

2.44
Durch Rezitation [spiritueller Texte] für sich selbst [kommt es zur] Verbindung mit der erwählten Gottheit.

2.45
Durch Gottergebung [kommt es zum] Gelingen von Samādhi.

Āsanam

2.46
Eine feste und angenehme Sitzhaltung [entsteht] …

2.47
… durch Lockerung von Anstrengung und Aufgehen im Grenzenlosen.

2.48
Dann [gibt es] keine Störung [mehr] durch Gegensatzpaare.

Prāṇāyāma

2.49
Ist das erreicht, [folgt] Atemkontrolle, die Unterbrechung des Gangs der Aus- und Einatmung.

2.50
[Das betrifft] die Bewegung

  • nach außen,
  • nach innen,
  • und haltend,

mit Beachtung von

  • Körperbereich,
  • Zeitmaß und
  • Zählung,

lang andauernd und kaum hörbar.

2.51
Ein vierter [Aspekt] verwirft den Bereich des Außerhalb und Innerhalb.

2.52
Dann nimmt die Verhüllung des Lichts ab.

2.53
Und die Befähigung des Gemüts zur Konzentration [entsteht].

Pratyāhāra

2.54
Bei Trennung von seinem jeweiligen Sinnesbereich folgt das Sinnesverlangen gleichsam dem Charakter des Geistes. [Das ist] Pratyāhāra, Rückzug nach innen.

2.55
Dann [entsteht] höchste Folgsamkeit der Sinne.

3. Manifestation von Kräften

Kontemplation, Meditation, Samādhi

3.1
Dhāraṇā, Kontemplation [ist] die Bindung des denkenden Geistes an einen Bereich.

3.2
Dhyānam, Meditation [ist es wenn] das Vertrauen dabei auf einen Punkt gerichtet ist.

3.3
Das bloße Leuchten der Sache, als wäre die eigene Persönlichkeit abwesend, das wahrlich [ist] Samādhi.

3.4
Diese drei zusammen [nennt man] Saṃyama, Sammlung.

3.5
Durch ihre Bemeisterung [kommt es zur] Weisheitsschau.

3.6
Deren [Bemeisterung wird] in Stufen angegangen.

3.7
Diese Dreiheit ist das innere Glied, verglichen mit den vorangegangenen [fünf der acht Glieder des Yoga].

3.8
Sogar diese ist ein äußeres Glied in Bezug auf den samenlosen [Samādhi].

Innere und äußere Entwicklungen

3.9
Wenn

  • nach außen drängende Gewohnheiten überwunden werden und
  • zur Stille führende hervortreten,

verbindet sich der Geist mit Momenten von Stille.

[Das ist] die natürliche Entwicklung zur Verstillung.

3.10
Deren ruhiges Fließen [entsteht], indem man eine Gewohnheit daraus macht.

3.11
Die natürliche Entwicklung des Geistes zum Samādhi hin [geschieht],

  • wenn alle weltlichen Ziele versiegen und
  • Einsgerichtetheit hervortritt.

3.12
Dass dann

  • gerade nachgelassene und
  • neu aufkommende Gedankenbilder

im Geist gleichartig sind, ist nun die Entwicklung zur Einsgerichtetheit.

3.13
Dadurch erklären sich natürliche Entwicklungen in Bezug auf

  • Lebensaufgaben,
  • Hinweise und
  • Lebensumstände,

in materieller und sinnlicher Hinsicht.

3.14
Der seiner Lebensaufgabe Ergebene folgt dem Ablauf der Aufgaben, die

  • abgeschlossen
  • aktuell oder
  • noch nicht deutlich sind.

3.15
Die Verschiedenheit der Schritte begründet sich in Entwicklungsunterschieden.

Anwendung von Saṃyama

3.16
Durch Saṃyama über die Entwicklungen dieser Drei, [also Lebensaufgaben, Hinweise und Lebensumstände, entsteht] Erkenntnis über Vergangenes und Kommendes.

3.17
Durch gegenseitige Überlagerung

  • vom Klang eines Ausrufs,
  • seiner Bedeutung und
  • der Vorstellung [die dann entsteht,

kommt es zu] einer Vermischung.

Durch Saṃyama über deren Aufschlüsselung [kommt es] zum Verstehen der Rufe aller Geschöpfe.

3.18
Durch das sich vor Augen führen von Denkgewohnheiten, Saṃskāras, [kommt] Erkenntnis früherer Geburten.

3.19
Über einen Glaubenssatz [kommt] Verstehen des Geistes anderer.

3.20
Das aber ohne Ursache, weil das nicht der Bereich [des Saṃyama] war.

3.21
Unsichtbarkeit [entsteht] durch Saṃyama über die Form des Körpers bei Hemmung der Fähigkeit ihn zu erfassen.

Also bei Trennung der Verbindung des Blicks [des Betrachters] mit dem Offenbarwerden [des Körpers].

3.22
Damit [wird auch] das Verschwinden von Lauten usw. erklärt.

3.23
Karma naht schnell heran oder nicht.

Durch Saṃyama darüber [kommt] Erkenntnis über den [eigenen] Todeszeitpunkt.

Oder aus Vorzeichen.

3.24
… auf freundschaftliche Einstellung usw. [entstehen entsprechende] Kräfte.

3.25
… auf Kräfte [entstehen] Elefantenkräfte usw.

3.26
Durch das Hineinwerfen der Aufmerksamkeit in die Entfaltung [der Dinge entsteht] Erkenntnis von

  • Feinstofflichem
  • Verborgenem
  • weit Entferntem.

3.27
Durch Saṃyama auf die Sonne [entsteht] Erkenntnis über die Erde.

3.28
… auf den Mond [entsteht] Erkenntnis über die Anordnung der Sterne.

3.29
… auf den Polarstern [entsteht] Erkenntnis über deren Bewegung.

3.30
… auf das Nabel-Chakram Erkenntnis über die Anordnung der Teile des Körpers.

3.31
… auf die Grube unter der Kehle das Aufhören von Hunger und Durst.

3.32
… auf den Schildkröten-Energiekanal, innere Festigkeit.

3.33
… auf das Licht im Stirnbereich die Schau von Siddhas, (vollendeten Yogīs).

3.34
Oder auch alles durch intuitive Eingebung.

3.35
… auf das Herz gegenseitiges Einvernehmen mit dem denkenden Geist.

Höhere Entwicklungsstufen

3.36
Die Überzeugung der Unterschiedslosigkeit von Sattva und Purusha, die beide überaus unvermischt sind, [führt zu] weltlichem Genuss von Freude und Schmerz.

Da dieser [Genuss kein Selbstzweck ist sondern] dem [Purusha für Erfahrungen in der Welt] dient, [folgt daraus, dass] durch Saṃyama über das, was nur für sich selbst existiert, die Erkenntnis des Purusha [entsteht].

3.37
Dann kommt es zu plötzlich einleuchtendem inneren Hören, Fühlen, Bilder-Sehen, Schmecken und Riechen.

3.38
Das sind im Samādhi Nebensachen. Beim sich nach außen Richten sind es Wunderkräfte.

3.39
Das Eindringen des Geistes in einen fremden Körper [entsteht] durch Lösung der Bindungskraft [an den eigenen Körper] und bewusstes Hinausgehen [aus dem Körper].

3.40
Durch Meisterschaft über den Udāna [entsteht] das Nichthaften an Wasser, Matsch, Dornen usw. sowie das willentliche Ausscheiden aus dieser Welt.

3.41
Leuchten [des Körpers entsteht] durch Meisterschaft über den Samāna.

3.42
Himmlisches Gehör [entsteht] durch Saṃyama über die Verbindung von Gehör und Luftraum.

3.43
Das durch-die-Luft-fliegen [entsteht] durch Einswerdung mit einer leichten Baumwollflocke und Saṃyama über die Verbindung von Körper und Luftraum.

3.44
Die „große Außerkörperlichkeit“ ist Aktivität außerhalb [des Körpers], die nicht nur vorgestellt ist. Dann nimmt die Verschleierung des Lichts ab.

3.45
Meisterschaft über Gewordenes [entsteht] durch Saṃyama über

  1. dessen grobstoffliche Form (sthūla)
  2. eigentliche Natur (svarūpa)
  3. feinstoffliche Beschaffenheit (sūkṣma)
  4. den Kontext (anvaya)
  5. und Nutzen (arthavattvam)

3.46
Dann kommen Aṇimā, [die Fähigkeit sich winzig zu machen] und die anderen [Wunderkräfte] zum Vorschein sowie die glückliche Beschaffenheit des Körpers, dessen natürliche Eigenschaften nicht mehr gehemmt werden.

3.47
Glückliche Beschaffenheit des Körpers [sind] anmutige Gestalt, Stärke und Standhaftigkeit wie ein Donnerkeil.

3.48
Meisterschaft über die Sinne [erlangt man] durch Saṃyama über

  1. den Wahrnehmungsablauf (grahaṇa)
  2. die eigentliche Natur [der Sinne] (svarūpa)
  3. den Ego-Bezug (asmitā)
  4. den Kontext (anvaya)
  5. den Nutzen [für das Individuum] (arthavattvam)

3.49
Dann [entstehen] gedankenschnelle Geschwindigkeit, Wirken ohne Handlungsorgane, und Meisterschaft über das noch nicht Manifestierte.

Der Weg zu Kaivalya

3.50
Vorsteherschaft über alle Daseinszustände und die Fähigkeit alles zu verstehen, [entstehen] aber nur für den, der die Andersartigkeit von Sattva und Purusha erkennt.

3.51
Durch Gleichgültigkeit sogar diesen [Kräften] gegenüber und beim Versiegen der Keime ungünstiger Eigenschaften [kommt es] zu Kaivalya (Befreiung).

3.52
Bei Einladung durch Hochgestellte [achte man auf] Unterlassung von Anhänglichkeit an Hochmut wegen erneuter Neigung zu Unerwünschtem.

3.53
Durch Saṃyama auf den Moment und den ihm folgenden, [entsteht] aus Unterscheidung geborene Erkenntnis.

3.54
Dann erlangt man Einsicht in zwei gleichartige [Sachen], wenn sie durch Herkunft, Merkmal und Ort zwar verschieden, aber nicht zu unterscheiden sind.

3.55
Die aus Unterscheidung geborene Erkenntnis erlöst mit einem Mal auf allen Ebenen und in jeglicher Hinsicht.

3.56
Wenn die Reinheit des Sattva der Reinheit des Purusha gleicht, [kommt es zu] Kaivalya. Also [ist es].

4. Befreiung

4.1
Paranormale Kräfte (Siddhis) entstehen durch Geburt, Heilkräuter, Mantras, glühende Askese und Samādhi.

Die Kraft hinter der Evolution

4.2
Die Flut der schöpferischen Urkraft (Prakṛti) bewirkt die Entwicklung von einer Daseinsform zu einer anderen.

4.3
Der Auslöser [für diese Entwicklung] ist nicht der Urheber der schöpferischen Urkräfte, [es ist] nämlich das Durchstechen eines Damms, wie bei einem Bauern, [der den Damm eines Wasserreservoirs durchsticht um sein Feld zu bewässern].

Generieren von Clonen

4.4
Das Manifestieren von Persönlichkeiten [geschieht] durch bloße Ichhaftigkeit.

4.5
Bei verschiedenen [gleichzeitigen] Manifestationen [ist] die veranlassende eine Persönlichkeit in den anderen.

4.6
In dem Fall ist aus Meditation Entstandenes ohne Karma-Ansammlung

Betrachtungen zu Gewohnheiten

4.7
Handlungen von Yogis sind weder dunkel noch hell, bei anderen sind sie von dreierlei Art.

4.8
Wenn dann dieses [Karma] reif geworden ist, werden vom Geist empfangene und darin verbliebene Eindrücke (Vāsanās) aktiv, je nach den Eigenschaften [dieses Karmas].

4.9
Auch wenn von Ursprung, Ort und Zeitpunkt getrennt, folgen Erinnerung und Gewohnheit unmittelbar aufeinander, weil sie dieselbe Wesensart haben.

4.10
Und die [Vāsanās] haben keinen Anfang, weil der Wunsch [zu Leben] ewig ist.

4.11
[Gewohnheiten hängen ab von] der Zusammenwirkung von

  • Ursache (hetu) und Ergebnis (phalam) sowie
  • ihrer Verankerung im Denken (āśraya) und
  • auslösenden Sinneseindrücken (ālambanam).

Bei Abwesenheit von diesen ist die [Gewohnheit] abwesend.

Zeit und Realität der Außenwelt

4.12
Vergangenes und Zukünftiges existieren in ihrer eigenen Wesenart. Ihr Ausdruck unterscheidet sich im Zeitverlauf.

4.13
Dieser [Ausdruck ist] sichtbar manifestiert [in der Gegenwart] oder subtil [bei Vergangenem und Zukünftigem]. Die Guṇas sind seine Bestandteile.

4.14
Die Realität von Gegenständen [besteht] aufgrund der Einheit hinter den Umwandlungen [der Guṇas].

4.15
Beim gleichen Gegenstand, [der] durch verschiedene Personen [wahrgenommen wird, liegen] bei beiden [d.h. Gegenstand und Personen] getrennte Vorgänge [vor].

4.16
Ein Gegenstand ist auch nicht von denkenden Geist eines einzelnen [Menschen] abhängig, was wäre sonst bei Nichtwahrnehmung dieses [Gegenstands]?

Ablauf von Wahrnehmung

4.17
Wenn durch Betrachtung eines Gegenstands eine Reaktion im denkenden Geist [entsteht,] wird der Gegenstand bemerkt, [sonst wird er] nicht bemerkt.

4.18
Weil der Purusha ohne Veränderung ist, bemerkt er immer die Bewegungen im denkenden Geist, dessen Herr er ist.

4.19
Der [denkende Geist] ist nicht aus sich selbst heraus bewusst, da er ein Objekt der Wahrnehmung [des Purushas] ist.

4.20
Und beim einvernehmlichen Zusammenkommen [gibt es] von den beiden keine klare Bestimmung.

Bewusstsein und denkender Geist

4.21
Wenn Wahrnehmung des denkenden Geistes durch einen im Innern [befindlichen weiteren denkenden Geist geschehen würde, also] Einsicht durch Einsicht, [gibt es] kein Ende solcher Annahmen und Verständnis-Verwirrung.

4.22
Die Erfahrung des eigenen Erlebens in den Ereignisbildern des denkenden Geistes [ist die Wirkung] des reinen nicht reagierenden Bewusstseins.

4.23
Gefärbt vom Wahrnehmer (d.h. dem Purusha) und dem Wahrgenommenen ist der denkende Geist zu allem anwendbar.

4.24
Obwohl wunderbar und unzählbare Eindrücke in sich tragend, [existiert der denkende Geist] zum Nutzen eines Höheren durch sein Zusammenwirken [damit].

Unterscheidung

4.25
Bei dem, der den Unterschied erkennt, hört das stetige Denken an die eigenen Geschichte auf.

4.26
Dann ist der denkende Geist von Unterscheidung markiert und wird zu Kaivalya hingezogen.

4.27
Bei dessen Unterbrechungen durch Gewohnheiten [entstehen] andere Überzeugungen.

4.28
Sie loszulassen [ist zu handhaben] wie bei den Kleśas besprochen (2:10, 2:11).

4.29
Der Samādhi, welche die erfrischende Wolke des Dharma ist, [entsteht] für den in Unterscheidung gefestigten, der auch beim Zusammenzählen nirgends nach Zinsen fragt.

4.30
Danach hören Kleśas und Karma auf, wirksam zu sein.

4.31
Durch die Unendlichkeit der Erkenntnis, von der jeder verhüllende Makel gewichen ist, ist dann das, was noch erkannt werden muss, gering.

4.32
Dann sind die Entwicklungsschritte der Guṇas abgeschlossenn und sie haben ihren Zweck erfüllt.

4.33
Die zueinander in Beziehung stehenden Momente sind ein Ablauf, der beim Abschluss der Entwicklung begreiflich wird.

4.34
Kaivalyam ist das Zurückkehren der Guṇas, die [jetzt] für den Purusha nutzlos sind, in den unmanifestierten Urzustand.

Oder in anderen Worten, es ist die Kraft des reinen Bewusstseins, die in ihrem eigenen Wesen fest gegründet ist.